Machen Sie's gut! (Teil 1/2)

19. Juni 2012

Es passieren wieder Dinge von denen man sich nie hätte vorstellen können, daß sie mal geschehen würden...
Vielleicht liegt es daran, daß ich alt werde. Oder zu jung bin? Ich bin verwirrt.
Aber wie immer sollte ich von vorne anfangen. Es wird bilderreich.

Vergangener Freitag. Der Plan war mit meinem Lieblingszwerg per Zug in eine nicht weit entfernte Stadt zu fahren.
(Mein Lieblingszwerg ist eigentlich viel größer als ein Zwerg. Aber er hat lange Haare, bewegt sich oft wie ein Zwerg, und einige Charakterzüge sind auch wirklich eindeutig. Ich muß oft an Karotte Eisengießersohn denken...)
Dort wollten wir einen weiteren langhaarigen Freund treffen, um dann gemeinsam an einem Event teilzunehmen, bei dem diverse Metal- und Rockbands der Region die Erde beben lassen sollten. Das LineUp sah wirklich gut aus, wir freuten uns. So gingen wir also dahin, und ich muß sagen, daß ich da noch zuversichtlich war. Die Lokalität fand ich gelungen, es gab ein großes Zelt mit einer großen Bühne. Es gab viel gute Technik, einen Wurststand, eine Bierbude, und das Wetter war einigermaßen gnädig. Früher am Tag hatte dort ein Kinderfest stattgefunden. Hüpfburg und Karussells wurden gerade noch abgebaut als wir ankamen.


Aber wir wunderten uns schon, daß kaum jemand zu sehen waren. Wir trafen weitere Zwerge, Trolle, Oger und gefallene Hobbits, saßen beisammen, aßen Bratwurst und tranken Bier.


Aber die Menge die in das Zelt gepasst hätte blieb aus. Es waren so viele Bands da, dachte ich. Warum hat nicht jede von ihnen eine Fanhorde mitgebracht?
Es blieb die gähnende Leere.


Tja.
Die meisten Bands waren wirklich gut. Sie haben sich richtig ins Zeug gelegt, und einige hatten wirklich junge Musiker dabei. 
Hut ab, Jungs! Ihr hättet besseres verdient.
Was die Veranstalter sich gedacht haben ist mir allerdings ein Rätsel. Jeder Band wurden 30 starr einzuhaltende Minuten Spielzeit zugesprochen. Keine Zugaben, keine Möglichkeit auf sympathisches Band-Publikum-Geplänkel... Kurz warmgespielt, Zack! Schon von der Bühne geschubst. In der Planung war wohl auch offensichtlich nicht vorgesehen, daß zwischen zwei Bands teilweise umgebaut werden muß. Schlagzeugteile werden gerollt, Technik wird umgestellt, und einige Kapellen konnten aus Zeitmangel gar keinen Soundcheck machen. Das alles führte auch zu dementsprechender Laune bei den Gästen. Bis auf die Handvoll "Extremtänzer" und einer lustigen Kinderhorde gab es sonst nur lange Gesichter. 
Die letzte Band wurde sprichwörtlich vom Hund gebissen. Ich glaube es waren nur drei Lieder die sie noch spielen konnten, dann gab es ein barsches Ende. Die Security-Schränke machten ihre "Geh nach Hause!" Gesichter, und die Technik war in kürzester Zeit eingepackt und verstaut. Einige ungläubige Gäste zündeten noch die Wunderkerzen an, die sie eigentlich für die letzte Zugabe mitbrachten. Aber kaum wunderten die Kerzen, stand auch schon einer der Schränke mit einem "Mach das sofort aus!" Gesicht da.
Wir entschlossen uns diesen spaßlosen Ort zu verlassen.
Ich musste vorher noch einen anderen Ort aufsuchen und sah dort erschreckendes.
Ein etwa 14 - 15jähriges Mädchen lag schwallartig brechend vor den Sanitäranlagen. Neben ihr stand eine große fast leere Flasche Eistee, dessen Inhalt nicht wie Eistee aussah. In angewidertem Abstand stand eine Truppe gleichalter und älterer angeblicher Freunde. Ich fragte ob Hilfe gebraucht würde, und eine Stimme aus der Gruppe lallte kaum verständlich, daß gleich jemand käme der alle abholt. Das Mädchen lag mittlerweile sehr entkräftet mit dem Gesicht in ihrem eigenen Erbrochenen. In dem Toilettenhäuschen fand ich eine Packung Einweg-Handschuhe, zog ein Paar an und nahm Papier mit. Ich zog das arme Ding aus der Lache der Erkenntnis, die sie hoffentlich spätestens am nächsten Tag erlangen würde, und der Wurstbudenmann kam mir zu Hilfe. Ich fragte mich, wo hier die Gesichtsschränke sind, wenn man einen braucht.
Etwa zwei Minuten später wusste ich es. Sie waren bei meinen wartenden langhaarigen Begleitern, um sie mit unhöflichen Gesichtern vom Gelände zu bitten.
Wie enttäuschend. Jetzt wollte ich auch nur noch weg.

Wir standen wieder am Bahnhof und wollten den Heimweg antreten, als ich von einem jungen Mädchen angesprochen wurde.
Sie saß dort mit ihrer Freundin. Beide waren schätzungsweise 15 oder 16 Jahre alt. Die Freundin hatte Piercings im Gesicht, rot gefärbte Haare und alte und neue teilweise wulstige Narben von Schnitten und kleinen kreisrunden Verbrennungen auf den Unterarmen. Das andere Mädchen hatte ebenfalls Piercings im Gesicht, und sie trug einen enorm hohen und sehr gepflegten blond gefärbten Iro auf dem Kopf.
Sie stand auf, stellte sich in respektvollem Abstand vor mich, räusperte sich leise und fragte dann: "Entschuldigen Sie bitte, können Sie uns helfen? Wissen Sie zufällig, ob von diesem Gleis noch ein Zug in Richtung Hamburg fährt?"
Ich war ein bisschen fassungslos: "Warte kurz... Hast Du mich gerade gesiezt!?"
Zur Erinnerung: Ich habe mittlerweile blaue Haare, und wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin, werden wir für Schwestern gehalten.


Beim Elternabend in der Schule wurde ich vom Lehrer darauf hingewiesen, daß nicht ich sondern nur Sorgeberechtigte bestimmte Dokumente unterzeichnen dürfen...
Und auf einmal werde ich gesiezt!?
Da sagt die rothaarige Freundin: "Naja... Ab einem bestimmten Alter kann man ja ein bisschen Höflichkeit rüberbringen..."

!!!

Da fehlten mir die Worte.
Die aber hatte einer meiner Begleiter. Er nahm sofort das Gespräch an und half den beiden. Wobei er die Mädchen in trockenster Ernsthaftigkeit siezte. Ich musste lachen.
Als alles erledigt war gingen wir zu unserem Gleis, und er rief den beiden noch "Machen Sie's gut!" hinterher und winkte überschwänglich.
Ich muß jetzt noch grinsen, wenn ich daran denke.

Aber das sollten nicht die einzigen denkwürdigen Ereignisse an diesem Tag bleiben.

Fortsetzung folgt...

 
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